Das folgende Review stammt ursprünglich aus einem anderen Projekt von mir. Da ich es nach wie vor sehr mag hier nocheinmal:


„Die Kunst des Krieges ist für den Staat von entscheidender Bedeutung. Sie ist eine Angelegenheit von Leben und Tod, eine Straße, die zur Sicherheit oder in den Untergang führt.“

Mit diesen dramatischen Worten eröffnet Sunzi (alternativ: Sun Tsu) sein Werk „Die Kunst des Krieges“. Eines der, wenn nicht sogar das Standardwerk für Strategie. Und weil es jenes ist, werden wir uns mit seinen 13 Kapiteln und ihren Lehren auseinandersetzen.

Historische Einordnung

Um zu verstehen, wo etwas hinführt, ist es immer gut zu wissen, woher es stammt. Deshalb zunächst eine kurze historische Einordnung, um den Entstehungshintergrund verstehen zu können. Vor ungefähr 2500 Jahren – demnach ca. 500 v.Chr. – wurde dieses zeitlos anmutende Werk vom chinesischen General und Philosophen Sunzi verfasst. Es gelang ihm damit zum obersten General im Heer von Helu, dem König von Wu, ernannt zu werden. Denn seine Abhandlung, die erste bekannte Abhandlung zu Strategie in schriftlicher Form, erregte die Aufmerksamkeit des Herrschers.[1] Geographisch befinden wir uns hier im späteren China, in der Region, in der sich das heutige Shanghai befindet. Der asiatische Raum dieser Zeit war geprägt durch die Teilung in Reiche sowie zahlreiche Kriegszüge.

Neuzeitliche Einordnung

Da sich heute die wenigsten der Leser dieses Werkes im Angesicht des physischen Krieges befinden dürften, findet es insbesondere im übertragenen Sinne Anwendung. Dementsprechend dient es als Quelle grundlegenden Wissens der Strategie und bietet Spielraum für situationsabhängige Interpretation. Diesem Bogenschlag von der Kunst des Krieges zu den Implikationen für unsere moderne (Geschäfts-)Welt gilt dieser Artikel.

Die 13 Kapitel der „Kunst des Krieges“

Kapitel 1: Planung und Vorbereitung

Planung und Vorbereitung eines Krieges umfasst insgesamt 5 Aspekte:

  1. Die Führung – Die Stärke der Beziehung zwischen Volk und Herrscher. Oder: Wie sehr steht das Team hinter seinem Chef? Ist diese Verbindung nicht stark genug, fehlt sogleich die Voraussetzung für einen Erfolg.
  2. Der Himmel – Stellvertretend für Umwelteinflüsse wurde der Himmel gewählt. Wetter, Tages- und Jahreszeiten veränderen die Bedingungen unter denen gekämpft wird.
  3. Die Erde – Präziser: das Schlachtfeld. Wird sich eine Schlacht auf heimischem, unwegsamen oder unübersichtlichem Gelände zutragen? Dem kommt beispielsweise gleich, ob man eine Verhandlung im eigenen Büro oder dem des Verhandlungspartners führt.
  4. Der General – Entscheidend sind die Eigenschaften dessen, der in den Kampf führt. Er sollte weise, vertrauenswürdig, verständnisvoll und mutig sein, aber ganz besonders sollte er konsequent und streng sein.
  5. Die Taktik – Wie stellt man sein Heer bzw. Team auf, verteilt Verantwortungen und finaziert es? Dabei sind nicht nur monetäre Mittel relevant: Zeit, Kost und Logis zählen ebenso dazu.

Außerdem stellt Sunzi klar, dass gegeben dieser Faktoren, der Sieger bereits im vorhinein feststeht. Ein kluger General – sprich Anführer, Manager oder Chef – weiß dies ebenso, plant im vorhinein und antizipiert das Verhalten seines Gegners. Antizipation heißt gleichzeitig Täuschung. Wer stark ist, gibt vor schwach zu sein. Wer aktiv ist, gibt vor untätig zu sein. So kann der Gegner zu einer Reaktion verleitet werden, die wiederum antizipiert wurde.

Kapitel 2: In den Krieg ziehen

Zunächst sollte man sich vor jedem Konflikt mit den entsprechenden Ressourcen versorgen. Dazu gehören – neben den unter Lektion 1 bereits geschilderten – insbesondere Humankapital und Geld. Darüber hinaus sollte ein Kampf nie länger geführt werden als nötig, da dies das Team ermüdet und Ressourcen verschlingt. Diese Schwäche könnten Gegner ausnutzen. Um dem entgegenzuwirken rät Sunzi, so viele Ressourcen wie möglich vom Gegner zu erbeuten, die eigene Mannschaft darauf einzuschwören und entsprechende Belohnungen in Aussicht zu stellen.

Kapitel 3: Strategischer Angriff

Insbesondere der Schutz dessen, was gewonnen werden soll, steht hier im Vordergrund. Beziehungsweise: Einverleibung ist besser als Vernichtung. [hier folgt bei gegebener Zeit ein Bezug zu „Der Fürst“] Darüberhinaus sollte von der höchsten Ebene bzw. Einheit auf die niedrigste vorangeschritten werden. Die beispielhafte Hierarchie lautet: Allianz – Armee – Stadt. Dabei ist eine kampflose Eroberung jeweils einer gewaltvollen Auseinandersetzung vorzuziehen, da sie schlichtweg zeit- und ressourcenschonender ist. Zusätzlich ist es ratsam, die Angriffskraft beider Parteien in ein Verhältnis zu setzen und die Taktik dementsprechend zu wählen. Bei deutlicher Ungleichheit zu eigenen Gunsten ist ein schneller gewaltiger Angriff zu empfehlen, andernfalls das Beobachten und Antizipieren des Gegners.

„Wer im Krieg den Feind und sich selbst kennt, läuft selbst in hundert Schlachten nicht Gefahr unterzugehen. Wer sich selbst kennt, aber nicht den Feind, wird für jeden Sieg eine Niederlage einstecken. Wer aber weder sich selbst noch den Feind kennt, muss jede Schlacht fürchten.“

Kapitel 4: Abhandlung über den Einsatz

Wer nicht siegen kann, sollte sich zuerst gegen seinen Gegner schützen und so lange abwarten, bis er eine Schwäche offenbart, die eigene Stärke groß genug geworden ist oder sich eine vorteilhafte Situation ergibt. Das ist eine der mehrmals betonten Lehren in „die Kunst des Krieges“.

Kapitel 5: Kraft

Die Kraft eines Teams kann niemals nur an der Anzahl seiner Mitglieder gemessen werden. Entscheidend ist, wie diese eingesetzt werden und wie gut sie sich abstimmen können. Dabei ist unvermeidlich, dass Gegner aufeinandertreffen, im Vorteil ist aber derjenige, der das Überraschungsmoment inne hat. Neben Kraft spielt die Entschlossenheit eine gewichtige Rolle: Erst analysieren, dann entscheiden und dann entschlossen mit voller Kraft agieren. Erneut werden die Elemente Chaos und Täuschung ins Spiel gebracht, die das Verhalten des Gegners vorhersehbar ändern sollen.

Kapitel 6: Wahrheit und Unwahrheit

Sunzi arbeitet heraus, was wir in den Wirtschaftswissenschaften als den First Mover Advantage kennen. Ein guter Anführer kennt die Wahrheit über sich und den Feind, wohingegen er Unwahrheit verbreitet, um vorteilhafte Gelegenheiten zu schaffen. Darüber hinaus wird Wasser als Metapher für den Umgang mit unveränderlichen Gegebenheiten eingesetzt – alles ist ein Ergebnis des Spiels mit diesen.

„Der Lauf des Wassers wird durch die Erdformation bestimmt […] so wie das Wasser keine bestimmte Form hat.“

Formlos zu erscheinen, flexibel zu bleiben und die Gegebenheiten zu nutzen führt zum Sieg.

Kapitel 7: Die Schlacht

Sobald es zum tatsächlichen Schlagabtausch kommt, erhöht sich das Risiko enorm. Es kann zwar potentiell der Sieg erungen werden, aber es steht zugleich viel auf dem Spiel. Immer wieder wird in „Die Kunst des Krieges“ die korrekte Vorbereitung thematisiert, so auch in diesem Kapitel. Darüber hinaus wiederkehrende Elemente sind die richtige Kommunikation in den eigenen Reihen und die Täuschung der feindlichen. Außerdem der Ausspruch einer Warnung, selbst nicht falsch auf das Verhalten des Gegners zu reagieren. Es ist immer besser insofern aktiv zu sein (was auch Passivität bedeuten kann), dass der Gegner zu einer Reaktion verleitet wird. Niemals anders herum!

Kapitel 8: Die neun Anpassungen

Neben wiederkehrenden Elementen sticht in diesem Kapitel besonders die Bewertung des Generals selbst heraus. Präziser formuliert: die Bewertung seiner Charakterzüge. Ein guter Anführer muss sich selbst kennen, sonst drohen ihm folgende Gefahren:

„Ist er todesmutig, kann er leicht getötet werden. Hängt er zu sehr am Leben, ist er leicht gefangen zu nehmen. Ist er von aufbrausendem Temperament, kann er schnell beleidigt werden. Ist er zu ordentlich und aufrichtig, fühlt er sich schnell entehrt und ist er zu besorgt um seine Männer, ist er leicht in Schwierigkeiten zu bringen.“

Kapitel 9: Schlachtposition beziehen

Sowohl in der Bewegung, der Rast, als auch im Angriff sollte stets eine vorteilhafte Position bezogen werden. Auf das Terrain der Erde bezogen liegt der Vorteil in den sonnigen und höhergelegenen Ebenen. Des Weiteren offenbart Sunzi hier, wie man den Feind und die Natur um einen herum richtig lesen kann, um zu verstehen, was vor sich geht und wo sich Vorteile ergeben können. An dieser Stelle fällt ein direkter Übertrag in moderne Situationen schwer. Allerdings lassen sich zwei dieser Lektionen nahezu unverändert übernehmen: sie beziehen sich auf menschliches Verhalten!

  1. Der Versuch Frieden zu schließen, ohne ihn vertraglich fixieren zu wollen, deutet auf eine List hin.
  2. Das plötzliche Aufkommen unterwürfiger Worte bedeutet, dass der Gegner eine Pause wünscht.

Kapitel 10: Geländeformationen

Dieses Kapitel baut auf zwei wichtigen Hauptaussagen auf. Das ist zuerst die, dass entsprechend der Gegebenheiten Position bezogen werden soll. Sofern die vorteilhafte Position vom Feind bezogen wurde, soll er nicht nur nicht attakiert werden. Vielmehr sollte ihm überhaupt nicht auf dieses nachteilige Terrain gefolgt werden. Dazu kommt zweitens, wie ein General das Verhältnis zu seinen Untergebenen zu gestalten hat: Liebevoll und dennoch autoritär, freundlich und dennoch mit Durchsetzungsvermögen.

Kapitel 11: Neun Geländeformationen

Kapitel 11 aus „Die Kunst des Krieges“ ist das mit Abstand ausführlichste und beschreibt sehr präzise, wie mit unterschiedlichen Geländeformationen umgegangen werden muss. Wenngleich die Relevanz zu Lebzeiten Sunzis ungemein hoch gewesen sein mag, ist sie heutzutage nur selten direkt gegeben. Ein neuer Gedanke dieses Kapitels ist, dass es sich stets empfiehlt dem Gegner erst das zu rauben, was er am dringendsten braucht und was ihm am liebsten ist. Das sind sein General und seine liebsten Besitztümer. Außerdem ergeben sich aus bestimmten Geländeformationen unterschiedliche Empfehlungen in Hinsicht auf zu schließende Bündnisse. Man kann hier an den berühmten Ausspruch „Der Feind meines Feindes ist mein Freund.“ denken.

Kapitel 12: Angriff mit Feuer

Wenn wir den „Angriff mit Feuer“ von der Antike in unsere heutige Welt holen möchten, brauchen wir aus dem realen Feuer nur eine Methapher zu formen: „ein Feuer legen“ dafür, ziel auf einen Angriffspunkt zu nehmen. Angriffspunkte können divers ausfallen: Menschen, Vorräte, Ausrüstung, Infrastruktur und die Quellen der Ressourcen.

Kapitel 13: Spione

Bevor große Kosten durch das Aufstellen einer kampffähigen Truppe erzeugt werden, sollten zuerst für vergleichsweise geringe Kosten Informationen beschafft werden. Wenngleich sie teuer erscheinen mögen, sind Informationen über den Feind genau der Wissensvorsprung, den ein General nicht nur braucht, sondern aktiv sucht, um zu siegen.

„Dieses Wissen im Voraus erhält man nicht von Geistern, es kann nicht durch Gebete erlangt werden, noch durch Erfahrung, sondern man erhält dieses Wissen nur durch andere Menschen, die über die Pläne des Feindes Bescheid wissen.“

Für Sunzi sind „andere Menschen“ Spione, die es in dieser Form heute nur noch selten gibt. Informationen lassen sich jedoch auf vielen Wegen beschaffen.

Fazit

„Die Kunst des Krieges“ ist heute insbesondere als Grundlektüre zu verstehen, deren Inhalt in unsere heutige Welt übertragen werden muss. Nichtsdestotrotz sind viele der zu Grunde liegenden Prinzipien – losgelöst von dem Szenario eines physischen Krieges – zeitlos.

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